Pfadfinden und Wissenschaft? Passt vielleicht im ersten Moment nicht so ganz zusammen, klingt aber spannend. Das war mein erster Gedanke, bevor ich (Annabelle), mich kurzerhand zu diesem doch recht Pfadfinderuntypischen Wochenende anmeldete.

Fachtagung Pfadfinden

Die Fachtagung Pfadfinden ist eine Initiative des bundesweiten Fördervereins Pfadfinder Hilfsfonds (PHF) und steht seit ihrem Beginn 2010 unter seiner Trägerschaft.

Die Fachtagung ist als Wochenendveranstaltung in zweijährlichem Turnus konzipiert. Veranstaltet wird sie seit 2016 durch die Kooperation Fachtagung Pfadfinden, der zur Zeit der Pfadfinder Hilfsfonds (PHF), die Ringe deutscher Pfadfinderinnen- und Pfadfinderverbände (rdp), der Deutschen Pfadfinderverband (DPV), der Verband deutscher Altpfadfindergilden (VdAPG) sowie der Verband der Pfadfinder und Pfadfinderinnen Österreichs (PPÖ) angehören.

Die Pfadfinderbewegung zwischen Jugendkultur und Übergangsritual

So lautete das Thema der diesjährigen 5. Fachtagung in Mühlheim an der Ruhr.

Nach einer Zugverspätung und daraus resultierenden verpassten Zug kam ich freitags gegen 16 Uhr in Duisburg am Hbf an. Von dort aus wurde ich mit dem Auto zur Wolfsburg mitgenommen.

Vor Ort gab es nach der Einteilung der Zimmer ein freudiges Wiedersehen mit anderen Pfadfinder*innen des LV Hessen.

Programm:

Um 19 Uhr trafen sich erstmals alle Teilnehmer, nach einem leckeren Abendessen, zur Begrüßung und zum ersten Vortrag zum Thema: Jugendkultur: Ästhetische Praxis und kulturelle Erlebniswelten Jugendlicher. Der Vortrag baute auf Studien zu Jugendkulturen und Jugendszenen auf, hatte aber nur einen indirekten Bezug zu Pfadfinden.

Nach diesem Vortrag trafen sich die jüngeren Teilnehmer der Veranstaltung zum Singen im Kaminraum. Hier wurde deutlich wie verschieden doch die einzelnen Bünde in der (Lied) Kultur sind. Der erste spannende Tag neigte sich dem Ende.

Nach einer erholsamen Nacht gab es ein reichhaltiges Frühstück. Der erste Vortrag hatte den Titel „Abzeichen und Narrativ – die emblematische Verzeichnung des Körpers durch die Kluft“. Der Vortrag untersuchte die Kluft aus einer postmodern-kulturwissenschaftlichen Perspektive. Der Vortrag war dementsprechend unverständlich (vielleicht lohnt es sich, die schriftliche Fassung im Tagungsband nochmal anzuschauen).

Der zweite Vortrag hieß „Das Dschungelbuch als Erziehungsfolie oder das Fremde als projektive Animalisierung“. Dieser Vortrag hat gezeigt, dass Kipling im Dschungelbuch nicht nur seine kolonialistischen Ansichten, sondern auch seine antidemokratischen und antiegalitären Gesellschaftsvorstellungen untergebracht hat. Diese Ergebnisse sind insofern spannend, da die Verbände/Bünde sie zur Reflexion über die Verwendung des Dschungelbuchs verwenden können.

Der dritte Vortrag behandelte die „Die pädagogischen Leitideen der Stufenpädagogik“. Die Referentin Christina Hunger erklärte darin, warum die Stufenkonzeption in Deutschland erst relativ spät rezipiert wurde. Danach gab es Mittagessen.

Die kurzen Pausen ließen etwas Zeit die Sonne zu genießen und Kontakte zu Teilnehmern aus den anderen Pfadfinder*innen Bünden und Verbänden zu knüpfen.

Nach der Mittagspause gab es nur drei statt vier parallel stattfindende Workshops, da eine Referentin erkrankt war.

  1. Die Stufe der Wölflinge: Das magische Denken in der Kindheit und die praktisch-pädagogische Arbeit in der Wölflingsstufe
  2. Die Stufe der Jungpfadfinder*innen: Die Früh-/Präadoleszenz (9./13. – 14. Lebensjahr) und die praktisch-pädagogische Arbeit in der Stufe der Jungpfadfinder*innen gemeinsam mit Die Stufe der Pfadfinder*innen: Die Hochphase der Adoleszenz (14. – 17. Lebensjahr) und die praktisch-pädagogogische Arbeit in der Stufe der Pfadfinder*innen:
  3. Die Stufe der Rover: Erwachsenheit und subjektive Kohärenz. Die Bedeutung der Projektmethode; Projekt: Befestigte Wege im „Dschungel“ von Calais (1. Preis der Stiftung Pfadfinden): Da einer der Referent*innen nicht konnte, wurde die Projektmethode weder vorgestellt noch diskutiert. Stattdessen gab es einen längeren Erfahrungsbericht von dem Hilfsprojekt in Calais und dem Aufbau der Hilfsorganisation Rigardu. Die Diskussion drehte sich um die Frage, wie politisch Pfadfinden ist.

Die Qualität der Workshops war sehr unterschiedlich. Wir als Stipendiaten hatten uns aufgeteilt, um von allen Workshops berichten zu können.

Die Ergebnisse wurden mit der „Open Desk“ Methode vorgestellt.

Im Anschluss gab es noch einen Vortrag zu: Die Pfadfinderbewegung: Kreativer Pool der freiheitlich- demokratischen Entwicklung oder retrospektiver Ort der Romantik. Dieser Vortrag hatte fast gar nichts mit seinem Titel zu tun, sondern behandelt den derzeitigen Stand der Kinder- und Jugend(verbands)arbeit in Deutschland und deren gesellschaftspolitischen Aufgaben in Zeiten von Rechtspopulismus und Trump.

Am Abend folge das Abendbuffet und eine Band trug Lieder von Bob Dylan vor.

Der nächste Morgen startete früh und direkt nach dem Frühstück kamen Vorträge über die Geschichte der Pfadfinderinnenbewegung in Deutschland, darunter biographische Studien zu Elise von Hopffgarten und Katharina „Erda“ Hertwig.

Den Abschluss der Tagung machte das Podium der Generationen mit fünf Pfadfinderinnen im Alter von 20 – 92 Jahren. Ihre Geschichten beschrieben eindrucksvoll die Entwicklung der Pfadfinder(*)innen in den letzten Jahrzehnten.

Am Ende der Fachtagung gab es noch einige Worte zum Abschluss und so machten sich wieder alle Teilnehmer spätestens nach dem Mittagessen auf den Heimweg.

Meine Heimfahrt dauerte Dank der Deutschen Bahn etwas länger, da direkt der erste Zug ausfiel und sich dadurch mein ganzer Fahrplan änderte.

Auswertung und Ideen zur Weiterentwicklung

Das Ziel der Fachtagung ist es, die wissenschaftliche Untersuchung von Pfadfinden zu fördern und den Austausch zwischen Wissenschaftler*innen (insbesondere Erziehungswissenschaftler*innen) und Pfadfinder*innen zu ermöglichen. Diese Ziele wurden unserer Ansicht nach nur teilweise erreicht: Der Austausch zwischen Wissenschaftler*innen und Pfadfinder*innen hat nicht funktioniert, da wenig Wissenschaftler*innen ohne pfadfinderischen Hintergrund teilgenommen haben. Allerdings haben auch nur wenige Pfadfinder*innen teilgenommen und dann vielleicht auch nicht die „richtigen“. Inwiefern die Fachtagung die wissenschaftliche Untersuchung von Pfadfinden gefördert hat ist schwer zu beantworten, klar ist aber, dass keine Studien über Pfadfinden in Deutschland vorgestellt wurden, am ehesten kommen da noch die historischen Untersuchungen ran.

Es ist schade, dass die gesetzten Ziele nur unzureichend erreicht wurden. Denn eigentlich hat das Konzept Potential: Wissenschaftliche Untersuchungen über Pfadfinden könnten Impulse liefern, die dann Entwicklungen in den Verbänden/Bünden anstoßen können. Um dies zu erreichen, haben wir folgende Ideen:

  • Es müssen mehr Wissenschaftler*innen (insbesondere Bachelor-, Masterstudent*innen und Doktorand*innen) auf die Fachtagung gelockt werden. Die Fachtagung müsste sich zu DEM Ort entwickeln, an dem sich alle Wissenschaftler*innen treffen, die im deutschsprachigen Raum zu Pfadfinden forschen. Um dies zu erreichen, könnten die Verbände/Bünde ihre Mitglieder in den entsprechenden Studiengängen anregen, Pfadfinden (bzw. Teilaspekte) in Bachelor- und Masterarbeiten zu untersuchen. Die Aussicht, die Ergebnisse in einem wissenschaftlichen Verlag veröffentlichen zu können, dürfte die Attraktivität erhöhen. Dies könnte durch einen offenen Call for Papers ergänzt werden (falls es das nicht eh schon gab). Gleichzeitig müssten gezielt Professor*innen angesprochen werden, um die Reputation der Tagung zu erhöhen.
  • Damit die Verbände/Bünde Impulse aus der Tagung aufnehmen können, müssen die „richtigen“ Personen die Tagung besuchen. Dies sind unserer Meinung nach Bildungsreferent*innen, Stufen-/Programmbeauftrage aus den Ländern und von der Bundesebene, Mitglieder der Bundesführungen. Dafür müsste bei diesen Personen ein Bewusstsein für die Chancen der Tagung geschaffen werden. (Die Altpfadfinder, die einen großen Teil der Teilnehmerschaft gestellt haben, sind eher nicht so wichtig)
  • Es ist aber nicht damit getan, dass die „richtigen“ Personen aus den Verbänden/Bünden zur Tagung kommen. Die Tagung müsste auch methodisch verändert werden, damit nicht nur Menschen mit abgeschlossenem (Geistes-/Sozial-/Erziehungs-)wissenschaftlichem Hochschulstudium etwas aus der Tagung mitnehmen können. Folgende Ideen haben wir: kleinere Panels parallel mit späterer Galerieführung oder ähnlicher inhaltlicher Zusammenführung, Wissenschaftler um Trainer ergänzen, die mit einer Methode der außerschulischen Bildung die Diskussionen leiten, eine längere Mittagspause, neben Vorträgen auch noch eine Podiumsdiskussion oder ein Zeitzeugengespräch (gab es dieses Jahr schon) oder einen Markt der Möglichkeiten. (Trotz dieser Methoden: Eine wissenschaftliche Tagung ist keine Fortbildungsveranstaltung, das Niveau ist tendenziell höher und die Inhalte tendenziell abstrakter und nicht anwendungsbezogen)

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